Die Veredelung der Herzen (UA)

Schauspiel von Mario Wurmitzer | Uraufführung | Theater Heilbronn | experimenta Heilbronn | Premiere: 21. April 2023

 

Regie: Grit Lukas
Bühne und Kostüme: Lena Hiebel
Video: Conny Klar
Dramaturgie: Clemens Miersch

 

mit
Leonie Berner
Luca Rosendahl
Pablo Guaneme Pinilla

 

Podcast zur Inszenierung

Fotos & Trailer: Jochen Klenk / YouTube

Presse

Theater der Zeit, Elisabeth Maier, 27.04.2023

Die Szenerie verstört. Unter der Kuppel des Science Dome im Heilbronner Wissenschaftszentrum Experimenta steht eine junge Frau. Zwischen einem Meer von Würfeln, die aus einer weißen Wand gebrochen sind, ruft sie das Institut „Wege zum Glück“ um Hilfe. Mit künstlicher Intelligenz werden Menschen da umgebaut, auf dass sie in der Gesellschaft funktionieren. Das wünscht sich Anna für ihren Freund. Er ist in Depressionen gefangen. Überlebensgroß taucht Augenblicke später der Vertreter des Instituts auf. Sein Kopf ist auf mehreren Bildschirmen zu sehen. Ist es ein Avatar oder ein Mensch? Mit solcher Ungewissheit spielt die Regisseurin Grit Lukas in der Uraufführung von Mario Wurmitzers Stück „Die Veredelung der Herzen“.

Im Planetarium lassen sich die Besuchermassen der Experimenta tagsüber in den Sternenhimmel entführen. Da werden die Naturwissenschaften mit neuen Medien und künstlicher Intelligenz griffig erklärt. Mit diesen technischen Möglichkeiten spielt Lukas in ihrer dynamischen Regiearbeit. Der diskursiven Schwere, die den Text des 1992 geborenen Österreichers streckenweise lähmt, setze sie gemeinsam mit der Videokünstlerin Conny Klar starke Medienbilder entgegen.

(...) Mit der „Veredelung“ will Anna ihren Freund, der sich im weißen Würfelbad in seine Depression geflüchtet hat, wieder in die Welt zurückholen. Das Bühnenbild Lena Hiebels verführt das Ensemble zum Spiel. Die Menschen stehen in einer zerfallenen Welt. Von den Mauern, die man einst aus den Einzelteilen gebaut hat, sieht man nur noch Reste. Damit gelingt Hiebel ein großartiges Bild für das Mindset einer jungen Generation, die zum Menschsein eine Anleitung braucht. Die Videokünstlerin Conny Klar greift das Bild auf. Sie projiziert Würfel an die Decke. Immer schneller drehen sie sich auf der Kuppel des Science Dome. So reißt sie das Publikum in den Strudel der Gefühle.

(...) Da sind drei, von denen die Technik zunehmend Besitz ergreift. Sie fühlen sich fremd in einer Welt, in der für die Menschen kein Platz mehr zu sein scheint. Das spiegelt das Regieteam virtuos im Setting des Planetariums, das die Grenzen der Bühne überwindet. Der Zerfall bekannter Werte spiegelt sich in Conny Klars einstürzender Medienwelt. So zeigt „Die Veredelung der Herzen“, wie neue Dramatik und digitale Regie einander bereichern.

Heilbronner Stimme, Claudia Ihlefeld, 22.04.2023

Nun ist in Heilbronn durch den geplanten IPAI, den KI-Innovationspark, Künstliche Intelligenz zum Großthema geworden. Umso charmanter und relevanter, dass sich das analoge Medium Theater einem Aspekt widmet, der in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden kann: die Optimierung des Menschen mittels KI, nach welchen Kriterien auch immer.

(...) Was ist, wenn Hirne überschrieben werden wie bei Christoph? Dann sind das Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung im Eimer und die Katerstimmung groß wie bei den drei veredelten Protagonisten auf der Bühne im Science Dome. Die hat Ausstatterin Lena Hiebel in eine futuristische Eislandschaft verwandelt aus Hunderten weißen Schaumstoffwürfeln und zwei massiven Kubi, die den Schauspielern mal als Sockel, mal als Sitzgelegenheit dienen. Videoanimationen von Conny Klar an der Wand und unter der Kuppel sind psychedelische Hingucker, die die technischen Möglichkeiten im Science Dome nutzen. Dabei werden unter der Prämisse einer KI-basierten Veredelung auch klassische Verhaltensphänomene verhandelt. Etwa wie es ist, wenn sich eine Beziehung nicht mehr echt anfühlt. Oder was Vergessen für Liebende bedeutet.

Rhein-Nackar-Zeitung, Brigitte Fritz-Kador, 04.05.2023

Luca Rosendahl als Christoph, Leonie Berner als Anna und Pablo Guaneme Pinilla als Institutsmitarbeiter Max agieren „optimal“ und pausenlos über 90 Minuten in dem wortreichen Stück, bei dem Grit Lukas Regie führt. Eine Arena, wie es der „Science Dome“ der „Experimenta“ ist, ist als „Bühne“ für die futuristische Anmutung des Stückes ideal in die Regie und in die Projektionen von Conny Klar hineingenommen worden. Lena Hiebel genügten weiße Schaumstoffwürfel für die Bühne als Aktionsraum – ein schönes Bild dafür, wie gerade auch die KI das Leben zu einem Würfelspiel machen kann und als Steuerungselement im Zufälligen ihren scheinbaren Erfolg real selbst zerstört.

(...) Die Vorführung dessen, was innerhalb dieses Verlaufs erwachsen kann, welche politischen und gesellschaftlichen Dimensionen es erreicht, um am Ende menschlich Ruinen zu hinterlassen, das ist ein Lehrstück, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Ludwigsburger Kreiszeitung, Ute Reichardt, 03.05.2023

Nie war das Thema aktueller: Wo sind dem Menschen in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI), Chatbot und Co noch Grenzen gesetzt? Und wenn doch: Wen interessiert das eigentlich noch? Zu verführerisch durchdringt „Brainhacking“, die Optimierung unseres Selbst mittels Pillen, Stromstö- ßen oder Hirnimplantaten, immer unmittelbarer die Gesellschaft. Insofern hat der junge, aber schon preisgekrönte österreichische Dramatiker Mario Wurmitzer thematisch einen Volltreffer gelandet mit seinem tragisch-komischen Stück „Die Veredelung der Herzen“, das davon handelt, was mit Menschen und Beziehungen geschieht, wenn sie sich auf KI-gesteuerte Optimierungen einlassen. Nicht von ungefähr erfährt das Drama seine jetzige Uraufführung unter dem eindrucksvollen Kuppel-Dach des Science Dome der Heilbronner Experimenta: Bereits 2021 setzte sich das Stück beim zweiten internationalen Dramenwettbewerb „Science & Theatre“ durch, den das Theater Heilbronn und die Experimenta gemeinsam alle zwei Jahre ausschreiben – 2021 zum Thema „Die Zukunft ist digital!?“ Und ein Teil der Prämie ist die Uraufführung im Science Dome.

Tatsächlich erweist sich die ungewöhnliche Kulisse als „Goody“ für Grit Lukas’ Inszenierung: Unter dem ausladenden Kuppeldach, das mit Videoinstallationen von Conny Klar immer wieder aktiv ins Stück eingreift, fühlen sich nicht nur die Premierengäste wie auf einen planetarium-artigen Theaterstern versetzt: Auch die Bühnenakteure Leonie Berner als Anna, Luca Rosendahl als deren Freund Christoph und Pablo Guaneme Pinilla alias Max – Mitarbeiter des Instituts „Wege zum Glück“ – schöpfen aus der futuristischen Atmosphäre, die ihre schauspielerischen Fähigkeiten – allen voran die von Pablo Guaneme Pinilla – maximiert. Da ist Anna, die Haare und Augenbrauen orange wie ihre Kleidung, umringt von diesen unzähligen weißen, fußballgroßen Schaumstoffwürfeln (Ausstattung: Lena Hiebel), in denen die Akteure baden, waten, sich verlieren. Diese Optimierung, die so komisch wie verstörend auf der Bühne ausagiert wird, ist gründlich schiefgelaufen: Christoph gehört wohl zu denen, die sich durch die Behandlung eher „selbstzerbes- sert“ statt selbstverbessert haben – mit fatalen Konsequenzen.

(...) Bei vorschneller Betrachtung mag sich der Eindruck aufdrängen, die Handlung zerfalle nach dem ersten Drittel der rund neunzigminütigen Inszenierung zunehmend in verwirrende, auch langatmige Sequenzen, die zuweilen fast absurd im Stil eines Samuel Beckett daherkommen. Doch wenn Christoph sich unversehens Erdbeerfelder wünscht oder Max scheinbar unmotiviert im Daunenmantel nach Finnland aufbrechen will und die Akteure von einer rätselhaften Vergesslichkeit befallen werden, ist eben das die überzeugend auf die Bühne übertragene Moral des Stücks: In einer Welt, in der die Optimierung des Einzelnen zum höchsten Gut wird, geraten Beziehungen aufs Abstellgleis.